Biographischer Überblick
Franz Liszt, geboren am 22. Oktober 1811 in Raiding im damaligen Königreich Ungarn, war ein bedeutender Komponist, Pianist, Dirigent, Musikpädagoge. Als einer der herausragenden Virtuosen des 19. Jahrhunderts und innovativer Komponist, der nicht nur die Ausdrucksmittel seines eigenen Instruments erheblich erweiterte, übte er einen tiefgreifenden Einfluss auf die Entwicklung der europäischen Musik aus. Seine oftmals im Dialog mit außermusikalischen Referenzen entstandenen Werke stehen in engem Zusammenhang mit seinen Lebensstationen – viele von ihnen begleiten ihn über Jahre und unterliefen dabei immer wieder Transformationen. Mit seinen vielfältigen Schriften widmete er sich nicht nur kulturellen und ästhetischen Fragen, sondern nahm ebenso Einfluss auf soziale, gesellschaftspolitische, nationale und religiöse Themen seiner Zeit.
Jugendjahre und musikalische Ausbildung
(1811–1823)
Liszt wurde in eine musikalische Familie hineingeboren. Sein Vater Ádám Liszt, der zeitweise in der Eisenstädter Hofkapelle des Fürsten Esterházy gespielt hatte, war hauptberuflich Schäfereirechnungsführer in dessen Diensten. Schon früh förderte er das Talent seines Sohnes. Mit sechs Jahren erhielt der Junge seinen ersten Klavierunterricht und trat drei Jahre später erstmals öffentlich auf. Die Familie zog 1822 nach Wien, wo Liszt beim Beethoven-Schüler Carl Czerny Klavier- und bei Antonio Salieri Kompositionsunterricht erhielt. Diese Zeit war entscheidend für seine technische und musikalische Entwicklung. Wie üblich für Virtuosen der Zeit, schrieb er schon früh Stücke für sein eigenes Instrument; bei seinen Auftritten verblüffte er mit hervorragendem Prima-Vista-Spiel und stupenden Improvisationen.
Liszt im Alter von ca. 13 Jahren
Künstler: Villain, Francois Le
Künstler der Vorlage: Roehn, Adolphe Eugène Gabriel
Foto: Mokansky, Olaf
Copyright: Klassik Stiftung Weimar (Quelle)
Liszts Pariser Jahre
(1823–1839)
Im Alter von 12 Jahren zog Liszt im Dezember 1823 mit seinem Vater nach Paris, obwohl ihm die Aufnahme ins dortige Konservatorium aufgrund seiner Herkunft verwehrt worden war. Dennoch studierte er privat bei Ferdinando Paër sowie später Anton Reicha und versuchte, bald auch die in seinen Augen verpasste allgemeine Bildung durch extensive Lektüre zunächst hauptsächlich im religiösen, später aber auch im literarischen Bereich nachzuholen. Damit legte er die Grundlagen für sein mit Bezügen zu Werken aus den unterschiedlichen Künsten geprägtes Oeuvre. In die Pariser Zeit fallen die Uraufführung seiner Oper Don Sanche ou Le château d’amour sowie überaus erfolgreiche Konzertreisen des Wunderkinds nach England, Frankreich und in die Schweiz. Zudem erschienen erste Klavierwerke im Druck.
Theaterzettel der Uraufführung des Don Sanche
Copyright: Klassik Stiftung Weimar (Quelle)
Nach dem Tod seines Vaters im Jahre 1827 und einer tiefen Sinneskrise zog sich Liszt weitgehend aus der Öffentlichkeit zurück. Erst nach der Juni-Revolution des Jahres 1830, die ihn zu einer nie vollendeten Revolutionssymphonie inspirierte, und den Begegnungen mit Hector Berlioz und Niccolò Paganini, die seine wieder einsetzende Kompositionstätigkeit erheblich prägten, fand Liszt wieder zur Musik zurück. Nicht weniger einflussreich für seine Entwicklung erwiesen sich für ihn die christlich-soziale Bewegung der Saint-Simonisten und die Lehren von Abbé Félicité de Lamennais. In den Pariser Salons trat er in Austausch mit zahlreichen Notabiliäten seiner Zeit wie Frédéric Chopin und Giacomo Meyerbeer sowie Victor Hugo, Heinrich Heine oder George Sand.
Titelseite Années de Pélerinage
Erscheinungsjahr: 1876
Signatur: L 1730
Liszt-Sammlung der HAAB Weimar (Quelle)
Die aufkeimende Beziehung zur verheirateten Gräfin Marie d’Agoult resultierte 1835 in eine rastlose Reisetätigkeit, insbesondere in die Schweiz, später auch durch die französische Provinz und nach Italien, die auch ihren Niederschlag in Liszts Oeuvre hinterließ. Bei gelegentlichen Reisen nach Paris hielt er sich mit dem Spiel seiner neuen Opernfantasien und Beethoven-Werken sowie der publizistisch begleiteten Fehde mit Sigismund Thalberg im Gespräch.
Auf Reisen
(1839–1847)
Ende des Jahres 1839 brach Liszt, mittlerweile Vater von drei Kindern, zu einer großangelegten Tour auf, die ihn bis ins Jahr 1847 durch ganz Europa führte. Mit seinen wandelbaren und auf den lokalen Geschmack reagierenden Klavierrecitalen sorgte Liszt, der diesen bis heute populären Veranstaltungstyp geradezu erfunden hatte, von Gibraltar bis nach Konstantinopel und von Glasgow bis nach St. Petersburg für die sprichwörtlich gewordene, von Heine belächelte „Lisztomania“. Bei seinen Auftritten in Ungarn erwachte sein Interesse an der nationalen Unabhängigkeitsbewegung, die auch in seinem Oeuvre deutlichen Niederschlag fand. Auch andernorts schrieb Liszt Stücke, die für den lokalen Markt und dementsprechend bei ansässigen Verlegern publiziert wurden, sodass im Laufe seiner Karriere Erst- und autorisierte Neuausgaben bei gut 100 verschiedenen Verlagen erschienen sind.
„Wie Franz Liszt sich in Wien zum Festessen hergeben muss“ um 1840.
Karikatur zu einer Szenerie mit Personen des Wiener Musiklebens mit Speiserezept über die Melodie "Ah! che piatto saporito".
Künstler: Lyser, Johann Peter
Foto: Mokansky, Olaf
Copyright: Klassik Stiftung Weimar (Quelle)
Auf seinen Tourneen, deren Organisation bald bei seinem Sekretär Gaëtano Belloni lag, lernte er nicht nur Künstler aller Art kennen, sondern bildete ein riesiges, ganz Europa umspannendes Netzwerk. Während seiner Konzertreisen kam seine Beziehung zu Marie d’Agoult allmählich zu einem Ende. Als er 1847 in Kiew die unglücklich verheiratete Fürstin Carolyne zu Sayn-Wittgenstein kennenlernte und sie ihn überzeugte, seine Karriere als Virtuose gegen den Komponisten einzutauschen, bedeutete dies das zwischenzeitliche Ende seiner Reisetätigkeit.
Als Komponist und Dirigent in Weimar
(1848–1861)
Im Sommer 1848 ließ sich Liszt mit Carolyne zu Sayn-Wittgenstein unter den misstrauischen Blicken von Bürgertum und Adel im provinziellen Weimar nieder, das sich als Wirkstätte von Goethe, Schiller, Wieland und Herder einen Namen als Kulturstadt erworben hatte. Bereits im Jahr 1842 war er dort zum Hofkapellmeister „in außerordentlichem Dienst“ ernannt worden. Diese Position nutzte er nun, um innovative Werke von Hector Berlioz und Richard Wagner (z. B. Uraufführung des Lohengrin am 28. August 1850) aufzuführen und sich der Komposition eigener Werke zu widmen. Weimar wurde durch Liszts Präsenz zum Magnet für hervorragende Musiker wie Hans von Bülow, Joseph Joachim oder Bernhard Cossmann sowie für Komponisten wie Joachim Raff und Peter Cornelius. In diesem Biotop, das bald auch Gäste von weither anzog, bildete sich jene lose „Partei“ aus, die Franz Brendel später als „neudeutsche Schule“ bezeichnete. Sie arbeitete – nicht selten kollaborativ – am „neuen Weimar“, das durch eine systematische Pressearbeit mit Texten von Liszt und seinem Anhängerkreis etwa für die von Brendel geleitete Neue Zeitschrift für Musik propagiert wurde. Damit schuf sich Liszt auch zahlreiche Feinde, in Weimar wie außerhalb.
Liszt im Alter von ca. 45 Jahren
Künstler: Lauchert, Richard
Foto: Geske, Sigrid
Copyright: Klassik Stiftung Weimar (Quelle)
Seine Zeit in Weimar war auch kompositorisch äußerst produktiv. Er überarbeitete eine Vielzahl der früheren Klavierwerke und schuf bedeutende, zum Teil in nuce bereits in seine Pariser Zeit zurückreichende Kompositionen, zu denen Sammlungen wie die Années de pèlerinage und die Ungarischen Rhapsodien zählen sowie die beiden Klavierkonzerte. Zudem entstand in diesen Jahren ein Großteil seiner symphonischen Werke, darunter die Dante- und Faust-Symphonie und vor allem seine Symphonischen Dichtungen, die von der Idee einer Synthese der Künste in der Musik geprägt sind. Deren Aufführungen stießen in der Öffentlichkeit auf breite Skepsis und lösten äußerst polarisierende Debatten in der internationalen Musikpresse aus. Weiterhin widmete sich Liszt geistlichen Werken wie der Graner Messe, ersten Arbeiten zu seinen Oratorien sowie zahlreichen Orgel- und Klavierstücken.
Titelblatt Magyar Rhapsodiak
Copyright: Klassik Stiftung Weimar (Quelle)
Im Dezember 1858 wurde die Uraufführung der Oper Der Barbier von Bagdad von Peter Cornelius gnadenlos ausgezischt – die wohl hauptsächlich gegen Liszt gerichtete Aktion brachte ihn dazu, sein Amt niederzulegen. Noch drei Jahre blieb er, obwohl oft auf Reisen, an der Ilm, ehe Carolyne zu Sayn-Wittgenstein und er die gemeinsame Wohnung in der Altenburg auflösten.
„La vie trifurquée“ – zwischen Weimar, Rom und Budapest
(1861–1886)
Trotz einer zwischenzeitlichen Annullierung der ersten Ehe Carolyne zu Sayn-Wittgensteins wurde die geplante Heirat an Liszts 50. Geburtstag 1861 in Rom von Seiten ihrer Verwandtschaft vereitelt, was langfristig zur Trennung des Paars führte. Nachdem sein Sohn Daniel bereits 1859 verstorben war, beklagte Liszt 1862 zudem den Tod seiner Tochter Blandine; und die Beziehung zu seiner Tochter Cosima trübte sich, nachdem sie, noch mit Hans von Bülow verheiratet, zu Richard Wagner gezogen war, bis in die 1870er Jahre hinein erheblich ein. Liszt wandte sich wieder vermehrt religiösen Themen zu und schuf zahlreiche geistliche Werke, darunter die beiden Oratorien Die Legende von der Heiligen Elisabeth, die er bereits in Weimar begonnen hatte, und Christus sowie die Krönungsmesse. Bereits 1858 war er in Pest in die Konfraternität des Hl. Franziskus eingetreten; 1865 erhielt er in Rom die niederen Weihen zum Abbé.
Als die Legende von der Heiligen Elisabeth 1867 auf der Wartburg bei Eisenach aufgeführt wurde, überredete der Großherzog Carl Alexander Liszt dazu, wieder regelmäßig in Weimar Quartier zu nehmen, wo ihm ab 1869 die Hofgärtnerei zur Verfügung gestellt wurde. Bald schon bildete sich ein wachsender, sehr international besetzter Schülerkreis um ihn, zu dem sich neben Eugen d’Albert, Emil Sauer, August Stradal oder Felix Weingartner auch einige der besten Klavierspielerinnen der Zeit zählten. Sein Unterricht prägte ein frühes Format der noch heute üblichen “Meisterkurse” aus.
Franz Liszt am Schreibtisch in seinem Musiksalon sitzend
Künstler: Photoatelier Louis Held, Weimar
Foto: Gerske, Sigrid
Copyright: Klassik Stiftung Weimar (Quelle)
Als Mitbegründer und Fürsprecher des Allgemeinen Deutschen Musikvereins setzte er sich zudem für den musikalischen Fortschritt ein und schuf damit ein Forum für zeitgenössische Musik, dessen internationale Wirkung bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts reichte. Im Jahr 1871 wurde er in Budapest zum „Königlich Ungarischen Rat“ und 1875 zum Präsidenten der Ungarischen Musikakademie ernannt. Der Unterricht nahm ihn so stark in Beschlag, dass er nur noch kleinere Stücke und Zyklen zu einem Abschluss bringen konnte und sein geplantes Oratorium Die Legende vom heiligen Stanislaus unvollendet lassen musste. Doch die entstandenen, harmonisch und motivisch zum Teil überaus kühnen Stücke weisen ins 20. Jahrhundert voraus. Liszt, der auch in den letzten Lebensjahren nicht reisemüde wurde, starb am 31. Juli 1886 in Bayreuth, wo er an den Festspielen teilgenommen hatte, und wurde auf dem örtlichen Friedhof begraben.