Für das LisztQWV wurde ein Datenmodell entwickelt, das die Erschließung eines so komplexen Oeuvres wie das Franz Liszts weitgehend reibungslos ermöglicht und die feingliedrigen Netzwerke sichtbar macht, in denen sich die verschiedenen Ausprägungsformen seines Werkes verorten. Das hier präsentierte Schema, das sich lose am Entity-Relationship-Modell orientiert, stellt die im Datenmodell vorgesehenen Entitäten mit ihren wichtigsten Attributen und Relationen dar.
Werke und Fassungen
Im Zentrum des Projekts steht der konsequente Umgang mit den vier Entitäten der Gruppe 1 der Functional Requirements for Bibliographical Records (FRBR): Werk, Expression, Manifestation und Exemplar. Diese konzeptionell grundlegende Entscheidung ermöglicht es, Liszts Oeuvre in der notwendigen Tiefenschärfe und im Anschluss an bibliothekarische Standards, die in den letzten Jahren vermehrt in digitalen Forschungsprojekten Anwendung gefunden haben, zu erschließen.
Auf der Ebene der Entität „Werk“ wird hierbei, anders als in gedruckten Werkverzeichnissen üblich, nicht etwa eine musikalisch konkrete, besonders dominante Ausprägung eines Werks verstanden. Vielmehr bildet sie als abstrakte Entität und „distinct intellectual or artistic creation“ (vgl. dazu den Absatz 3.5 „Functional Requirements for Bibliographic Records" in den MEI-Richtlinien 5.0) eine Klammer um die dazugehörigen Expressionen. Auf „Werk“-Ebene wird die für Liszts Oeuvre so wichtige Anbindung an musikalische und außermusikalische Vorlagen und Inspirationsquellen dokumentiert, ebenso ihr Bezug zu den sogenannten „poetischen Ideen“. Während für Vorlagen eine separate Entität „Referenzwerke“ genutzt wird, die in auf das Wichtigste reduzierter Form Informationen zu diesen künstlerischen Werken erfasst, wird die „poetische Idee“ über die Entität „Schlagwort“ abgebildet. Um ein aussagekräftiges Netzwerk an Schlagworten zu entwickeln und die Qualität desselben sicherzustellen, wird ein Glossar als kontrolliertes Vokabular, idealiter in Anbindung an die Sachbegriffe der GND, geführt.
Bei der Erschließung von Liszts Oeuvre spielt die Ebene der Expression eine herausragende Rolle, da seine Werke bisweilen in einer Vielzahl von Expressionen verkörpert werden, die in Hinsicht auf den Verschiedenheitsgrad das ganze Spektrum von fast identisch bis erheblich unterschieden abdecken können. Über die Verschachtelung mehrerer Expressionen können äußerst komplexe Abhängigkeitsverhältnisse und Entstehungsprozesse dargestellt werden. Eines der Hauptziele des LisztQWV ist es, in dieser Hinsicht stärker ausdifferenzierte Lösungen vorzuschlagen, als es früheren Projekten in der vordigitalen Ära aufgrund der Reichhaltigkeit und der schwierigeren Zugänglichkeit des Quellenmaterials möglich war.
Quellen – Handschriften, Ausgaben, Exemplare
Auf der Ebene der Exemplare wurde für sogenannte „Manifestation Singleton“ (Manifestationen, die sich nur in einem einzigen Item „exemplifizieren“ wie beispielsweise Handschriften) und „Manifestation Product Type“ (Manifestationen, die in zahlreichen Exemplaren vorliegen bzw. zumindest einst vorlagen wie bei den meisten gedruckten Produkten) gemeinsame Entitäten für die Ebenen „Manifestation“ und „Exemplar“ entwickelt. Für Sammeldrucke und -handschriften werden dieselben beiden Entitäten verwendet, sie werden jedoch nicht über Relationen in Expressionsdatensätze in den Kontext einzelner Liszt-Werke verortet, sondern nur durch die Relationen zwischen den enthaltenen Manifestationen sichtbar.
Über die konsequente Arbeit mit Komponenten auf allen vier Ebenen der FRBR-Gruppe 1 (Werkdatensätze innerhalb von Werkdatensätzen, Expressionsdatensätze in Expressionsdatensätzen etc.) können komplizierte Verhältnisse und Abhängigkeiten abgebildet werden, wie sie beispielsweise in Form von an unterschiedlichen Orten aufbewahrten Quellenbestandteilen oder von einem Druck eines bestimmten Werks, der durch Umarbeitung zum Ausgangspunkt einer neuen Expression oder gar eines neuen Werks wird, des Öfteren in Liszts Oeuvre vorkommen.
Kontextualisierung des Schaffensprozesses – weitere Entitäten
Diese Entitäten des künstlerischen Schaffensprozesses werden durch weitere Entitäten wie „Personen“, „Körperschaften“, „Ereignis“ und „Ort“ kontextualisiert. Ihre Attribute sind, wo möglich, ideal auf die konsequente Normdatennutzung hin angelegt, die sowohl vielfältige Sucheinstiege ermöglicht als auch die Anschlussfähigkeit an einschlägige Normdaten-Hubs (wie die GND, VIAF oder Wikidata) garantiert. Zahlreiche Daten können automatisiert aus Hubs übernommen und mit projektspezifischen Inhalten ergänzt werden.
Mit dem Ziel, Nachweise möglichst effizient anzubringen, werden auch Literatur (die in Zotero gehalten wird und neben Sekundärliteratur auch Rezeptionszeugnisse und Auktionskataloge enthält), Briefe sowie Standorte (von Quellen und Briefen) als Entitäten behandelt. Die Literatur ist über Zotero, bzw. über ein Bibliographie-Modul im Liszt-Portal gut (nach-)nutzbar, ein späteres Projekt zur Erschließung von Liszts Korrespondenz kann die im Liszt-Portal bereits erschlossenen Daten zu den Briefen übernehmen und ergänzen.
Das Datenmodell bietet so eine gute Grundlage für die im Projekt vorgesehene verteilte Datenhaltung. Seine Stärke liegt nicht zuletzt darin, dass es die herkömmliche materialbasierte Systematik, wie sie zum Beispiel bei RISM üblich ist, mit dem in Forschungsprojekten etablierten werkzentrierten FRBR-Modell kompatibel macht. Langfristig gesehen kann das Modell für die Erschließung vergleichbarer Oeuvres nachgenutzt werden.